Stadtspaziergang São Paulo – von Jardim Europa bis ins Zentrum
Jemandem der ein paar Wochen Urlaub in Brasilien macht, würde ich São Paulo nicht als Reiseziel empfehlen. Dennoch möchte ich ein paar Ausflugstipps für São Paulo teilen – für diejenigen die eine Zeit lang in São Paulo leben oder die es aus sonst irgendwelchen Gründen hierher verschlägt.
Ich entdecke die Stadt gerne zu Fuß. So sieht man, wie alles zusammenhängt und man kann gut erkennen wie sich das Stadtbild von Viertel zu Viertel ändert. Zugegeben, das kann man auch wenn man mit der U-Bahn von Gegend zu Gegend fährt, aber man sieht nicht den Übergang und versteht nicht wo man eigentlich ist. Anfangs habe ich mich nur per U-Bahn + maximal eine Buslinie von einer Ubahnstation aus bewegt, vor allem aus Angst vor der viel beschworenen Kriminalität und aus Sorge mich zu verlieren („damals“ hatte ich auch noch kein Smartphone mit allgegenwärtigem Zugang zu google maps ;-)). Mittlerweile kann ich aus Erfahrung sagen:
1. Klaar, man sollte aufpassen, aber so schlimm ist die Kriminalität auch nicht. Zumindest tagsüber kann man sich in den meisten Gegenden relativ gefahrlos bewegen. Nachts und am Wochenende sollte man aufpassen, in welche Viertel es einen verschlägt. Ich rate davon ab, sich zu diesen Zeiten planlos durch die Gegend zu bewegen. Und ich lege generell nicht meine Hand dafür ins Feuer, dass euch nichts passiert. Man kann immer und überall überfallen werden. Also keine Garantie meinerseits. Bisher ist mir aber zum Glück nichts passiert 🙂 Offensichtlicher Tipp: möglichst keine Wertgegenstände mitnehmen, wohl aber ein bisschen Bargeld für den Fall der Fälle und schon kann das Abenteuer losgehen 😉
2. Überirdisch gibt es viel mehr zu entdecken als unterirdisch 😉 Man kann Teilstrecken auch per Bus kennenlernen, vor allem am Wochenende ohne Stau kommt man mit dem Bus gut vorwärts. Außerdem kann man sich bei BikeSampa (das sind die orangenen Fahrräder von Itaú) anmelden und einen Teil von São Paulo per Rad erkunden. Einfach registrieren, Kreditkarte hinterlegen und per App ein Rad an einer der Stationen anmieten. Man kann das Fahrrad dann an jeder beliebigen Station zurückgeben. Unter 30 Minuten kostet das ganze nichts, für längere Perioden fallen R$ 5 pro halbe Stunde an.
Nun aber zur ersten kleinen Tour, die ich vorstellen möchte:
Von Jardim Europa bis ins Zentrum
Länge: ca 11 km.
Zeit: ein halber Tag.
Start: Av. 9 de Julho 5250.
Zur Karte
Auf diesem Spaziergang kann man gut beobachten, wie gegensätzlich São Paulo ist und wie sich das Stadtbild von Kilometer zu Kilometer wandelt: extremer Reichtum und schicke Villen vs. Armut und heruntergekommenere Häuser. Und dabei geht es noch nicht einmal bis in das Extrem „favela“… Los geht es in Jardim Europa an der Av. 9 de Julho (dort kommt man mit dem Bus hin). In Jardim Europa werdet ihr durch viele „Länder“ laufen: die Straßen tragen die Namen europäischer Länder. Zunächst durch die Rua Baviera (Bayern), die Rua Russia (Russland), Rua Bélgica (Belgien) und Rua Noruega (Norwegen) bis in die – natürlich – Rua Alemanha (Deutschland) 🙂 Am Ende der Deutschland-Straße trefft ihr auf die Avenida Europa. Dort liegen zwei interessante Museen: das MUBE – Museu Brasileiro da Escultura und das MIS – Museu da Imagem e do Som (Bild-und Tonmuseum). Letzteres zeigt in einem eigenen Kino alte Filmklassiker. Auf dem Platz vor / über den Museen gibt es sonntags einen Antiquitätenmarkt.
Nach einem möglichen Abstecher in eines der Museen geht es auf der anderen Seite der Av. Europa durch die Straßen Sofia, Inglaterra (England), Áustria (Österreich), Suiça (Schweiz), Polônia (Polen), Dinamarca (Dänemark) und Itália (Italien) weiter bis zur Praça das Nações Unidas (Platz der Vereinten Nationen).
An diesem Platz bietet sich nun eine Entscheidungsmöglichkeit: wenn ihr gerne lauft, lauft die Av. Europa Richtung Av. Paulista hoch. Alternativ kann man einen Bus der Linie 107T-10 (Richtung Metro Tucuruvi) nehmen und bis zur Rua Oscar Freire fahren.
Wenn ihr lauft, kommt ihr an einer Kirche vorbei: Paróquia Nossa Senhora do Brasil. Sah von außen ganz interessant aus, ich war noch nicht drin. Auf der Av. Europa befinden sich zahlreiche Autohäuser, vor allem von Luxusmarken. Wie viele Autos Ferrari, Lamborghini und Co. hier wohl jährlich verkaufen?
An der Rua Oscar Freire macht ihr einen Abstecher in die Einkaufwelt der Reichen São Paulos. Jede große Stadt besitzt bekanntlich eine Einkaufsstraße, wo sich die bekannten Marken eine Filliale gönnen. Dies ist in São Paulo die Oscar Freire (laut dem Wikipedia Artikel von „Excellence Mystery Shopping International“, wer auch immer das ist :D, als 8. luxuriöste Straße der Welt gekrönt, sowie als zweitluxuriöste in Amerika nach der 5th Avenue). Ein Unterschied zu den üblichen Prachtstraßen, wie z.B. der Champs Elisee, 5th Avenue etc., ist, dass es eine kleine Seitenstraße ist in der es relativ ruhig und gemütlich zugeht. Achtet aber darauf, welche Marken hier ein Geschäft betreiben…
Von der Oscar Freire hoch bis zur Avenida Paulista könnte ihr gehen wo lang hier wollt. Ich habe nur einen beispielhaften Verlauf eingezeichnet. Ihr könnt auch einfach die Rua Augusta hoch gehen.
Nun kreuzt ihr die berühmte Avenida Paulista und geht einen Block nach Links. Es ist Zeit für einen Snack in der schönen Padaria „Bela Paulista“. Hier sollte man mal gewesen sein. Abgesehen davon, dass die Tour für tagsüber gedacht ist, lohnt sich auch spät nachts ein Blick in die Bela Paulista (24/7 geöffnet).
Frisch gestärkt geht es die Rua Augusta runter, einen Abstecher durch die Frei Caneca (übrigens Treffpunkt der GLT-Szene und unter Paulistanos scherzhaft auch Gay Caneca genannt) bis zur Praça Roosevelt. Spätestens hier dürftet ihr den krassen Unterschied vom Reichenviertel Jardim Europa und der Luxusstraße Oscar Freire zum historischen Zentrum merken. Bereits auf der Augusta stehen einige eher abgeranzte Häuser und es tummeln sich zwielichte Gestalten. Die Praça Roosevelt wiederum ist ein Skater-Treffpunkt. Seitlich an der Praça Roosevelt (Rua Martinho Prado) findet man übrigens einige alternative Theater, Kabaretts und Bars (ist abends einen Besuch wert. Um dort abends hinzukommen empfehle ich allerdings bis zur Praça da Republica zu fahren und von dort aus hinzulaufen).
An der Praça Roosevelt vorbei geht es in die Rua Martins Fontes (wie die Bücherei). Von dieser Straße biegt rechts eine kleine Passage ab, die ich als kleines Italien bezeichnen würde (Little Italy ist aber ein anderes Viertel in São Paulo: der Bixiga). Hier gibt es einige italienische Restaurants und entsprechendes Flair. Sehr aufgeräumt, während sich drumherum der übliche Zentrums-Ranz befindet.
Nach einer Runde durch diese italienische Passage kommt ihr wieder auf die Martins Fontes und folgt dieser bis zur Kreuzung mit der Rua da Consolação. Hier links abbiegen und die nächste wieder rechts in die Rua Araújo. TADAAAA: ihr steht vor dem famosen Edificio Copan, einem gigantischen wellenförmigen Wohnkomplex aus der Feder Oscar Niemeyers. In dem Gebäude gibt es über 1000 Appartements und unten drin befindet sich eine Einkaufspassage. Das Gebäude besitzt sogar eine eigene Postleitzahl! Vom Copan geht ihr weiter Richtung Praça da Republica, wo unsere Tour endet. Kurz vor der Praça da Republica kommt ihr aber noch am Edificio Itália vorbei, dem höchsten Hochhaus São Paulos. Im x-und-vierzigsten Stockwerk gibt es ein Restaurant (Terraço Itália)und eine Aussichtsplattform (montags bis freitags zwischen 15 und 16 Uhr kostenlos).
Ich hoffe die Beschreibung hat euer Interesse geweckt. Hoffentlich gefällt sie euch und wenn ihr die Tour macht, könnt ihr mir gerne Feedback und Verbesserungsvorschläge geben. Und allen die nicht in São Paulo sitzen hat die Beschreibung vielleicht ein paar interessante Eindrücke gegeben 🙂 Vorschau: ein weiteres „Reiseführer“-Projekt ist eine ca. 2 Wochen Tour von São Paulo entlang der Atlantikküste, durch Paraty, Ilha Grande, über Rio bis nach Ouro Preto. Die Route habe ich schon im Kopf und schon mehrmals mündlich empfohlen. Ich muss sie nur noch aufschreiben 😉
loading...